Infothek

Ronald Meyer 2014 — Kapitel 1 aus Markenpolitik 2 Praxis

„Markenpolitische Leeren & Lehren“

Der klassische Markenartikel leidet Not, stellenweise auch bittere. Dabei ist Markenpolitik beileibe kein Mysterium. Sind die Prinzipien in Vergessenheit geraten oder out? Marken stillen den Durst auf sozialen Erfolg. Mit Werbe-schnickschnack und Design- Schickimicki funktioniert das aber nicht. Ohne das Vehikel eines handfesten Wettbewerbsvorteils gibt es keinen nachhaltigen Erfolg. Es ist Zeit für „Back to the Roots“.

Es war kein Geringerer als Abraham Lincoln, der zum Thema Öffentlichkeit und Wahrheit mahnte: „You can fool some of the people all the time and all of the people some of the time, but you cannot fool all of the people all of the time“.

Der Hoffnung, dass es mit markenpolitischen Mogelpackungen abseits substantieller Produkt- und Kreativleistungen dennoch gelingen könne, nachhaltig im Markt zu reüssieren, verdanken mancherlei Illusionskünstler der Kommunikations- und Beratungsbranche ein schillerndes und auskömmliches Dasein. Des einen Not ist bekanntermaßen des anderen Brot.

Die klassische Herstellermarke für Produkte des tagtäglichen Bedarfs, kurz FMCG ( Fast  Moving  Consumer Goods ) genannt, gerät indes ungebremst von solcherlei Seichtheiten in einem gnadenlosen Verdrängungswettbewerb mehr und mehr unter Druck.

Die Leiden werden schicksalsergeben mit einem Achselzucken abgetan:  inflationäre Produktvielfalten, abstrus hohe Flopraten, Materialschlachten in Werbung & Sponsorings, Aussetzen notwendiger Preiserhöhungen, Aktionspreis-Karusselle, Markenware aus Kapazitätenverkauf in Niedrigpreissegmenten, Lobbyismus –Schelte  der Massenmedien in Bezug auf trügerische  Produktdeklarationen und Werbeaussagen sowie last but not least der fortgesetzte Popularitätsgewinn der Discounter, die als flächendeckende Nachbarschaftsmärkte mit Vollsortiment einen ehedem noch engmaschig  aufgestellten klassischen, markenartikelfokussierten  LEH beerben.

Lesen Sie bitte weiter»
Ist es nicht bemerkenswert, dass ein führender Discounter, der über seine Angebote souverän „informiert“ anstatt  sie wie der „Billige  Jakob“ anzupreisen, in der Top Ten der bekanntesten deutschen Marken seit Jahren ganz weit oben steht? Wer dort einkaufen geht, gilt schon lange nicht mehr als sozial unterbelichtet, anspruchslos oder Pfenningfuchser, sondern als ein aufgeklärter Durchblicker, der sich von bunten Werbewelten & Etikettenschwindel nicht nasführen lässt.

So schaut es halt aus, wenn das Grundkapital des Geschäftsmodells „Marke“, das öffentliche Vertrauen in Qualität & Preiswürdigkeit, dahinschmilzt und alle die in diesem Hamsterrad strampeln hoffen, dass es für sie gerade noch „reichen“ wird.

Der Ursachen sind viele, die wichtigste aber ist hausgemacht:

Zu wenig „Value for Money“. Die markenpolitischen Prinzipien werden geflissentlich verkannt oder gar gebeugt. Was sind überhaupt Marken?

Vergessen Sie pseudo- wissenschaftliche und intellektuell hochgestochene Spekulationen, Mystik und vor allem Magie. Solcherlei Aufbauschungen erwachsen aus der Selbstbeweihräucherung der Erfolg-reichen , Glaube und Hoffnung der Fußkranken sowie Eigeninteressen einer nicht selten selbstverliebten und parasitären Peripherie. Markenartikel sind schlicht & einfach bessere Produkte für bessere Leute, mehr nicht.

Besser heißt bei Produkten qualitativ hochwertiger, spezieller, teurer und vor allem angesehener. Besser heißt bei Leuten erfolgreicher im sozialen Wettbewerb: mehr haben, mehr sein, mehr wissen, mehr können.

Wettbewerb ist das zentrale Regulativ der Evolution und wurde daher von der Krone der Schöpfung folgerichtig zur Kultur erhoben. Das Wettbewerbsprinzip beherrscht sämtliche Lebensbereiche und dabei insbesondere den Konsum.

Im FMCG –Sektor stehen dabei die perfekte Haushaltsführung, das Tuning durch Körperpflege und frei verkäufliche Arzneimittel sowie diverse identitätsaktive Ernährungsweisen zentral, angefangen vom LOHAS– Fetischismus über landsmannschaftliche Standartenkulte bis hin zum Savoir Vivre.

Der lebenserhaltene Kollektivismus der Steinzeit, so der anthropologische & ethnologische Forschungsstand, lebt unter der Kruste neuzeitlicher, aus Industrialisierung und Sozialstaatlichkeit genährter Individualität psychosozial gesehen ungebrochen in uns fort. Sich behaupten, bewähren, auszeichnen wollen. Beute machen. Jagd – & Kriegstrophäen sammeln. Rang – und Ehrenzeichen erringen und in Szene setzen. Besitz anhäufen. Wohlstand genießen und zur Schau stellen.

Der soziale Wettbewerb zieht sich querbeet — abseits artifizieller Segmentierungen — durch alle Milieus, Szenen sowie soziodemo- und psychographischen Zielgruppen-Cluster und dominiert mit Maßstab der Selbstreferenz und Geltungssehnsüchte die Triebfedern des Konsums.

Das schreit geradezu nach Produkten, die vermittels der Reputation ihrer Werthaltigkeit und der Verknappung über den Preis diese fundamentalen psychologischen Bedürfnisse valide befriedigen können.

Der zentrale Erfolgsfaktor der Marke ist daher Prominenz. Prominente Marken sind populär, haben eine strahlende Qualitäts-Aura und genießen in der Öffentlichkeit einen unerschütterlichen Vertrauensvorschuss. Sie gleichen dem Fels in der Brandung.

Was können Verfolger, Angeschlagene oder Newcomer dagegensetzen? Richtig: zunächst erst einmal nichts! Denn gegen die Macht des positiven Vorurteils ist kein Kraut gewachsen. Es gilt das markenpolitisches Gravitationsgesetz: Klasse zieht Masse und Masse wieder Masse. Millionen Verbraucher können nicht irren. Der Herdentrieb ist das Erbe urzeitlicher Schwarmintelligenz. Wenn bessere Leute, und wer wollte nicht wenigstens situativ oder von Zeit zu Zeit dazugehören, bessere Produkte gleich einem Lebenselixier ersehnen, können ungeachtet des Umstandes, dass sich Innovationen beweisen müssen, Überzeugungswilligkeit und Glaubensbereitschaft nicht überraschen.

Glauben erspart die Qual des Denkens, Prüfens und Entscheidens. Zudem sind unsere Verhaltensweisen als Folge von Erziehung & Ausbildung sowie selbsterworbenen und öffentlichen Erfahrungswissen durch Automatismus geprägt. Wie anders wollten wir auch sonst die Komplexitäten unserer Umwelt bewältigen?

Image-Analysen fördern daher für prominente Marken — das ist aus Sicht der weniger Begünstigten natürlich bitter in aller Regel auch Wertschätzungsfacetten zu Tage, die weder beworben noch sonst wie propagiert wurden, geschweige denn rein objektiv gesehen  in einem besonderen Maße vorhanden wären.

Marken-Protagonisten bzw. -Fans schieben darin eine unbezahlbare, aber kostenlose Mund zu Mundpropaganda an. Wahr ist im Markenartikel –Geschäft eben nur das, und zwar ausschließlich nur das, was Verbraucher subjektiv für wahr nehmen. Dabei kommt es abseits individueller Selbsterfahrungen im starken Maße auf die öffentliche Meinung an.

Wie gelangt man in diesem Rennen auf die Überholspur? Es bleiben nur zwei Wege. Entweder man lauert auf Fehltritte der Markenprominenz oder rafft sich auf und wird selbst prominent.

Prominente Marken machen zu Lasten ihrer Qualitätsaura hin und wieder gravierendere Fehler. Leichtsinn. Gier. Hochmut ist der schlimmste. Danach kommt der Fall. Hochmut entsteht aus Selbstüberschätzung, also Realitätsverlust, und eröffnet dem Angreifer mit einer überraschenden und beherzt  vorgetragenen Attacke die beste Chance. David lässt recht herzlich grüßen.

Wie wird man eine prominente Marke? Es gibt wie bei Künstlern keine nachhaltige Prominenz ohne eine initiale, profunde und insoweit spektakuläre Leistung, die Unverkennbarkeit & Charisma der Marke begründet.

Die großen FMCG – Marken der Gegenwart blicken auf eine Generationen überspannende Geschichte zurück, die in aller Regel mit Innovationen begann. Die detaillierte Erinnerung daran mag mit der Zeit verblassen und in der Branchenüblichkeit aufgehen, eine starke Qualitätsaura bleibt selbst dann erhalten, wenn abseits verlässlicher Qualitätssicherheit keine herausragenden Taten mehr nachfolgen.

Hieraus ergeben sich für die Werbung Handlungsspielräume, auch Narrenfreiheiten, deren Ausschöpfung oftmals dazu geeignet ist, aufstrebende Wettbewerber in die Irre zu führen.

Es ist ein ebenso häufiger wie schwerwiegender Irrtum zu glauben, dass man prominenten Marken, die ohne explizite Leistungs- oder Qualitäts-Aussagen etwa Lifestyle bewerben, in gleicher Weise auf Augenhöhe entgegentreten oder ihnen durch Übertrumpfung darin sogar heimleuchten könne.

Markenpolitik respektive Werbung mit ( tiefen-) psychologisch ausgeklügelten Markenmehrwerten ohne konkreten Produktbezug hilft  selbst prominenten Marken nur so lange, bis sie die Herausforderung mit unleugbaren Mehr- und Sonderleistungen ereilt.

Das Bessere ist des Guten Feind. Wer darin die Orientierung verloren hat oder überhaupt Richtung sucht, kehrt am besten zu den Quellen der Marketing- Philosophie zurück und setzt dort mit frischen Kräften wieder aufs Neue an.

Der/die/das USP ( Unique Selling Proposition ), es gibt keine allgemein anerkannte Eindeutschung, 1940 aufgebracht von dem US – amerikanischen Werbemann  Rosser Reeves (siehe Literaturtipps), galt über Jahrzehnte und vielen noch heute als Ausweis erfolgreicher Markenpolitik. Der Anspruch ist denkbar hoch. Gefordert sind danach alleinstellende Qualitätsmerkmale & Produktnutzen, die eine einzigartige, unwiderstehlich verkaufsaktive Produkt-Demonstration respektive Marken-Inszenierung erlauben.

Die Meinung, solcherlei Großtaten erhielten durch zügige Nachahmungen vom Markt keine ausreichenden Amortisationszeiten und ständen im FMCG – Bereich als sogenannte Low Interest-Produkte ohnehin abseits eines tiefergehenden Verbraucherinteresses, hatte Glaube & Hoffnung im Gefolge, den USP durch einzigartige Werbeauftritte auf Basis psychologisch wirksamer Markenmehrwerte ersetzen zu können.

Hierbei stand zweifelsohne auch die Vorstellung vom Zigaretten – Marketing als „Hohe Schule“ der USP-losen Werbung Pate, ohne dass, von Sonntagstoren abgesehen, ein systemischer Erfolg in der Breite zu erkennen gewesen wäre. Blauer Dunst & Goldgräberglück. Mehr nicht!

Die manipulative Mobilisierung unterbewusster oder geheimer Wünsche erfordert vielmehr, egal ob man darin der Lehre von Siegmund Freud oder eher der darin geäußerten Skepsis von Jean Paul Satre folgt, Rationalisierungs-Krücken einer Qualität, als gelte es den Homo Oeconomicus in den Bann zu schlagen.

Selbstrechtfertigungen und frommer Selbstbetrug brauchen Nahrung; Scheinbegründungen gegenüber einem sozialen Umfeld voller Selbstgerechtigkeit erst recht. Die Formel purer Emotion anstelle Leistung geht nicht auf. Vordergründige Inszenierungen von Trieb-& Lustbefriedigungen demaskieren geradezu die prospektiven Markenverwender.

Marken sind nicht emotional. Marken machen emotional. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Beschäftigung mit nebulösen Markenmehrwerten allerlei Beliebigkeiten Tür & Tor öffnet und daher — wen sollte es  wundern  — kürzere Halbwertzeiten für Marketing-Strategien und Werbekampagnen im Gefolge hat.

Produktseitige Innovationen und Pioniertaten wurden in meinem gut und gerne 35-jährigen, zugegebenermaßen auf die Getränkewirtschaft begrenzten Erfahrungsspektrum, zumeist reichlich belohnt, während bloße Schaumschlägereien ebenso sicher, geradezu mit Ansage, im Sande verliefen Man mag gar nicht glauben, welch ein lebhaftes Interesse und differenziertes  Wissen verbraucherseitig an Produktdetails gerade auch bei den „low interest products“ vorhanden ist.

Es ist sogar mehr noch das Charakteristikum und Privileg großer Marken, Träger legendär verklärter Qualitätsvorstellungen zu sein.

David Ogilvy ( siehe Literaturtipps ), schon zu Lebzeiten Denkmal  der US-amerikanischen Werbeszenerie, legte mit seinen Geniestreichen Zeugnis davon ab, dass die Produktsphäre großen Werbeideen nicht im Wege steht, sondern  ihr Fokus ist.

Hierin ist die enge Verwandtschaft zu Hans Domizlaff (siehe Literaturtipps), dem Stammvater des deutschen Marketings, unverkennbar. Ihm, von Haus aus gleichermaßen Werbemann, verdanken wir den ungemein fruchtbaren, weil auch unmittelbar praktikablen Gedanken, dass der Daseinszweck der Marke in der Befriedigung  übergeordneter psychologischer Bedürfnisse vermittels  der rational sinnfälligen  Instrumentalisierung produktseitiger Sonderleistungen mit Alleinstellungsgehalt besteht Der soziale Wettbewerb bietet darin selbstredend eine Fülle von Anknüpfungspunkten.

Hans Domizlaff nannte ein derartiges Konzept schlicht & einfach Markenidee.  Sie können es ebenso gut auch Markenkern, Positionierung ( sessenz ) oder Copy Strategy nennen.

Warum machen wir es uns eigentlich zuweilen so schwer? Können wir nicht, wollen wir nicht oder treiben uns Realitätsverlust & intellektuelle Hybris? Die Werbegeschichte in Deutschland, schauen Sie doch einmal hinein, hat darin allerhand an Erfolgsbeispielen zur Erbauung und zum Ansporn zu bieten. Möglicherweise gehört selbst Ihre Marke dazu.

Ich erinnere, um mein angestammtes Genre einmal auszuklammern, spontan die historische Kampagne von Braun Sixtant, in der „die sanfteste Rasur (vermittels eines innovativen Scherkopfes ) seit es Elektrorasierer gibt“ durch die Rasur eines Pfirsichs ( mit der sprichwörtlich empfindsamen Haut ) demonstriert wurde und Zoom-Blenden auf ein glattrasiertes, von Damenhand liebkostes Herrengesicht den finalen ( psychologischen ) Produktnutzen unverkennbar in Szene setzten. Auf seine Markenwahl angesprochen hätte ein Verwender fraglos die neue revolutionäre Scherkopf -Technik genannt.

Was auch sonst? Ist ein USP noch nicht genug? Die Rosser Reeves nachfolgende Management-Generation hängte die Messlatte für markenpolitischen Erfolg noch um einiges höher.

Die Positionierung – Gurus Al Ries und Jack Trout (siehe Literaturtipps) rufen zu Pioniertaten auf. Es gilt Erster, das Original eines Genres bzw. einer Produktkategorie zu sein. Nicht unbedingt im Sinne historischer Authentizität, sondern in den Köpfen der Verbraucher. Darin hat namentlich nur der Erste als Prototyp und Synonym für mehr oder weniger komplexe Produkteigenschaften Platz. Tempo, nicht Hektik, spielt daher bei Einführungsaktivitäten eine gewichtige Rolle mit. Der Markt liebt innovatives & beherztes Handeln.

Wer nicht Erster ist, sollte wenigstens Zweiter sein. Nicht Zweitbester, sondern Erster unter den Herausforderern. Mit einem konträren, klar und kompetitiv konturierten Gegenentwurf.

Al Ries und Laura Ries (siehe Literaturtipps), wir sind schon wieder in der Gegenwart, finden im Gesetz zur Entwicklung der Arten von Charles Darwin die systemische Antwort auf die Frage wie man Erster wird. Man mache vermittels einer Pionierleistung in einem Markt eine neue Kategorie auf und gebe dem Kind einen neuen Namen; Markenaufbau im Gewande der Systemkonkurrenz mit scharfgeschliffener Klinge.

Divergenz heißt die neue Parole. Die Vorstellung von einer evolutionären Spreizung der Märkte mit organischen Wachstumskräften führt wieder auf die Naturgesetze der Markenbildung von Hans Domizlaff zurück. So schließt sich ein Kreis.

Wo ist eigentlich das Problem? Auf geht’s!

Literaturtipps

  • Rosser Reeves, Reality in Advertising, 1961 by Alfred A. Knopf, New York
  • David Ogilvy, Ogilvy on Advertising, 1983 by Crown Publishers, New York
  • Hans Domizlaff, Die Gewinnung des öffentlichen Vertrauens, 2.Auflage, Hans Dulk Verlag, Hamburg 1951
  • Al Ries & Jack Trout, Positioning – Die neue Werbestrategie, 1986 by Mc-Graw – Hill Book, Hamburg
  • Al Ries & Laura Trout, Die Entstehung der Marken, 2004  by Redline Wirtschaft, Frankfurt/am Main